Ein Erfahrungsbericht aus meiner damaligen Zeit in La Gomera:

Die "Hauptstadt" San Sebastian, wo ich hier wohne, kenne ich durch meine Spaziergänge mittlerweile zur Genüge, kein Wunder bei nur ca. 7000 Einwohnern. Das schöne an dieser "Stadt" ist, dass es hier kaum Touristen gibt, sondern fast nur Gomeros. Eine ganze menge Tagestouristen gibt

es hier, doch ist San Sebastian mit dem Hafen nur Durchgangsstation für das Valle Gran Rey, das größte Touristengebiet hier auf La Gomera. Manche Freunde in Deutschland haben mich gefragt, was ich hier den ganzen Tag so mache:

Nun, um 5:30 schellt der Wecker. Dann schnell in meine Dienstkleidung gehüpft, eine Banane verdrückt und auf zum Hafen. Gegen 6 Uhr kommen die ersten abreisenden Gäste mit den Transferbussen im Hafen an, denen ich dann die Fährtickets und ein paar warme Worte für die Überfahrt nach Teneriffa überreiche. Danach geht es wieder zurück in meine Wohnung. Das ganze wiederholt sich bis zu 5 mal am Tag, bis abends gegen 21:10, wo die letzte Fähre aus Teneriffa ankommt. Also ein langer Tag, aber natürlich mit einer langen Siesta, so von 13 bis 16/17 Uhr, in der fast das komplette öffentliche Leben ruht und auch fast alle Geschäfte schließen. So lege ich mich mittags auch meist eine Stunde hin und schlafe. Zwischen den Fähren lese ich oder lerne spanisch. Letzteres erinnert mich sehr ans Lateinlernen, viele Erinnerungen an meine Schulzeit kommen wieder hoch. Spanisch von Gomeros zu lernen, ist äußerst mühsam. Gomeros verschlucken einige Laute, nuscheln, sprechen ein Dialekt, ähnlich wie in großen Teilen von Südamerika.

Wenn ich Einheimischen zuhöre, sind dies nicht immer besonders geistvolle Konversationen. Das Gespräch zwischen männlichen Gomeros handelt häufig nur von dem einen Thema (von welchem wohl?). Ansonsten können sich Gomeros stundenlang unterhalten, mit welchem Bein sie heute aufgestanden sind, was sie heute schon getrunken und gegessen haben, was sie heute schon erledigt haben oder noch wollen, und wichtig!, die Überlegung, warum man es nicht auch morgen (mañana) erledigen könnte. Die Gomeros sind sehr freundliche, hilfsbereite, einfache und gemütliche Menschen. Die allermeisten sind, was Einstellungen zum modernen Leben, Werten, Überzeugungen, Religion, Lebensgefühl usw. angeht, häufig noch in den 50er oder 60er Jahren des 20. Jh. Die Religion hat eine viel tiefere Bedeutung im Leben. Es gibt hier viele kleine Dörfer, die Strom oder auch Telefonanschluss erst in den 80er oder 90er Jahren bekommen haben. Ich war in einem Dorf, dass immer noch kein Stromanschluss hat, Solaranlagen gibt es aber mittlerweile auf einigen Dächern. Einige Dörfer haben noch keine asphaltierten Strassen, sondern sind nur zu Fuß oder über Sandpisten mit dem Auto(Jeep) zu erreichen. Also hier auf La Gomera noch ein Stück unberührte Natur? Gewiss, aber gerade in den letzten 10 Jahren hat sich hier einiges verändert. Der Tourismus fängt an zu blühen, Geld kommt auf die Insel und die Lebensgewohnheit der Menschen hat sich teilweise verändert. Aber immer noch ist es ursprünglich. Ältere Menschen gibt es hier, die nicht lesen noch schreiben können. Einige sind Analphabeten. Die Arbeitslosenquote ist hoch. Junge Menschen ziehen auf die großen Nachbarinseln Teneriffa oder Gran Canaria oder aufs Festland oder auch nach Südamerika, vor allem Venezuela, um Arbeit zu finden. Inzwischen gibt es mehr Gomeros auf Teneriffa als auf Gomera! Es gibt hier auf Gomera zwar ein Gymnasium, aber keine FH oder Uni. So ziehen diese jungen Menschen weg und kommen nach Studium häufig nicht wieder zurück nach Gomera. Einige Dörfer sind völlig verlassen, nur Tagesbesucher genießen für eine Weile die absolute Ruhe, wirklich absolut ruhig, so was von Ruhe habe ich vorher noch nie im Leben erlebt. Nur ein paar Vögel sagen sich in diesen Dörfern Gute - Nacht. In Deutschland hört man ja fast überall das Rauschen der nächsten Autobahn. Die A3 Köln - Frankfurt hört man selbst kilometerweit noch Rauschen, selbst nachts. Richtig dunkel in Deutschland wird es nachts dank Großstädte auch nicht mehr richtig, fast überall Streulicht. Hier kann man nachts in jenen Dörfern den Sternenhimmel beobachten, einfach traumhaft. Da fühle ich mich diesem gleich viel näher, so viele Sterne sind am fast immer wolkenlosen Himmel zu bewundern.

Genieße beim nächsten Mal ganz bewusst die Ruhe und den Sternenhimmel! Es ist vor allem die Natur, die unbesiedelten Gebiete, diese Einsamkeit. Man kann einfach hinausfahren aus meinem Dorf und fühlt sich der Schöpfung viel näher, als wenn man in einer Stadt unter Menschen lebt. Gomera ist ein großes Dorf, aber genau dies liebe ich an ihr. Es ist keine 24 Stunden Geschäftigkeit, wie sonst in unserer westlichen Welt. Man kann nicht alles kaufen, es gibt nur kleine Supermärkte, keine Malls oder Shoppingcenter. Es gibt nur kleine Klamottenläden und kleine Schuhläden. Es ist halt hier alles einfach, klein, übersichtlich, jeder kennt jeden. Wenn ich an unsere Plaza in San Sebastian gehe, treffe ich fast immer Menschen, die ich kenne. Die Gomeros sind Menschen, die ich mag. Sie sind einfach, natürlich, nicht kompliziert. Ich hab sehr schnell das Gefühl, woran ich bei ihnen bin.

Ich habe hier auf Gomera eine Ahnung bekommen, wie wir früher gelebt haben. Einfach. Langsam. Ruhig. Ohne Stress: Ohne Fernseher, ohne Auto, ohne große Shoppingtouren, einfach nur Natur einfach mit guten Freunden zusammensein und die Zeit, die man miteinander verbringt, genießen. Über Gott, das Universum, die Menschen und alles sonst zu quatschen. Bei einem oder auch zwei guten Glässern Caminante die halbe Nacht zu sitzen und zu reden. Oder auch mal bei einer einheimischen Fiesta Samstag nachts bis morgens um 7 durchzutanzen. Unter Sternenhimmel und mit kanarischer Musica, südamerikanisch angehaucht.

Es ist einfach die Erkenntnis, dass man zum Leben gar nicht so viel braucht, wie wir immer meinen und uns die Werbung suggerieren will. Im Grunde genommen eine einfache Erkenntnis, aber real am eigenen Körper erfahren noch mal eine neue Erfahrung.
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